Fachsprachen-Kommunikation im Spannungsfeld zwischen fachlicher Exaktheit und Verständlichkeit

gabriel-sollmann-Y7d265_7i08-unsplash

Die deutsche Sprache ist vielfältig und anpassungsfähig. Neben der Alltagssprache existieren zahlreiche Fachsprachen, die auf spezifische Berufs- oder Wissenschaftsbereiche zugeschnitten sind. Sie haben die Aufgabe, innerhalb eines Fachgebiets eine präzise Kommunikation zu gewährleisten, Wissen zu strukturieren und Missverständnisse zu vermeiden. Gleichzeitig wirken sie oft als Sprachbarriere, da sie für Außenstehende schwer verständlich sein können. Fachsprachen dienen also nicht nur der fachlichen Präzision, sondern prägen auch die berufliche Identität und Zugehörigkeit. In der Fachsprachenforschung (vgl. Hoffmann, 1987; Fluck, 1996) wird Fachsprache als funktionale Varietät der Sprache verstanden, die sich durch terminologische Präzision, spezielle Syntax und konventionalisierte Ausdrucksweisen auszeichnet. Sie steht im Spannungsfeld zwischen Verständlichkeit und fachlicher Exaktheit.

1. Medizinsprache – Wissenschaftliche Präzision und Diagnostik
Die Medizinsprache zeichnet sich durch ihre Präzision und internationale Verständlichkeit aus. Sie ist stark geprägt von altgriechischen und lateinischen Begriffen, die spezifische Krankheitsbilder, anatomische Strukturen und medizinische Verfahren beschreiben. Ärzte und medizinisches Fachpersonal nutzen diese Sprache, um sicherzustellen, dass Diagnosen und Befunde exakt und weltweit verständlich kommuniziert werden können.
Nach Fluck (1996) ist die medizinische Fachsprache eines der ältesten Beispiele für eine terminologisch normierte Fachsprache. Ihre Struktur ermöglicht es, auch komplexe Sachverhalte präzise darzustellen.
Besonderheiten:

  • Griechisch-lateinische Begriffe: Hepatitis (Leberentzündung), Hypertonie (Bluthochdruck), Nephritis (Nierenentzündung)
  • Abkürzungen: p.o. (per os – oral einzunehmen), s.c. (subcutan – unter die Haut), i.v. (intravenös)
  • Präzise Beschreibung anatomischer Strukturen und Funktionen: Musculus biceps brachii (Oberarmmuskel), Vena cava superior (obere Hohlvene)

Beispiel:
„Der Patient zeigte Symptome einer akuten Appendizitis und benötigte eine Appendektomie.“ Für medizinische Laien wäre dies unverständlich, es bedeutet jedoch, dass der Patient eine Blinddarmentzündung hatte, die operativ entfernt werden musste.

Analyse:
Während die Fachsprache in der schriftlichen Dokumentation unverzichtbar ist, schafft sie im Arzt-Patienten-Gespräch oft Distanz. Studien wie die von Meyer (2010) zeigen, dass ein bewusster Wechsel zwischen Fachsprache und laiengerechter Sprache die Patientenzufriedenheit signifikant erhöht.


2. Juristensprache – Eindeutigkeit und Absicherung
Die Sprache der Juristen ist bekannt für ihre Komplexität, Abstraktheit und Exaktheit. Sie dient dazu, rechtliche Sachverhalte so präzise wie möglich zu beschreiben, um Interpretationen zu minimieren. Juristische Texte sollen eindeutig und umfassend sein, was jedoch oft zu langen und verschachtelten Sätzen führt. Coseriu (1978) beschreibt die Juristensprache als stark normativ, mit dem Ziel der maximalen rechtlichen Eindeutigkeit. Die Verwendung des Konjunktivs und nominaler Strukturen dient der Vermeidung von Missverständnissen.
Besonderheiten:

  • Nominalstil: Verben werden häufig in Substantive umgewandelt, um Sachverhalte objektiv darzustellen („Die Durchführung der Vertragsprüfung obliegt dem Rechtsanwalt.“).
  • Unbestimmte Rechtsbegriffe: angemessen, zumutbar, erheblicher Schaden
  • Konjunktiv I: Dieser wird verwendet, um Aussagen von Zeugen oder Dritten wiederzugeben („Der Zeuge erklärte, er sei zur Tatzeit zu Hause gewesen.“).

Beispiel:
„Der Mieter verpflichtet sich, die Mietsache in einem vertragsgemäßen Zustand zurückzugeben.“ Diese Formulierung ist bewusst vage, um Spielraum für Interpretationen zu lassen, aber gleichzeitig rechtlich bindend.

Analyse:
Juristische Fachsprache erfüllt ihren Zweck innerhalb der Fachwelt, ist jedoch für Laien schwer zugänglich. Hier besteht eine besondere Herausforderung in der Übersetzung juristischer Texte in allgemeinverständliche Sprache (vgl. Habersack, 2015). Studien von Schröder und Lang (2018) verdeutlichen, dass die Verständlichkeit juristischer Texte durch Vermeidung von Schachtelsätzen um bis zu 30 % erhöht werden kann.


3. Wirtschaftssprache – Effizienz und Zahlenlastigkeit
Die Sprache der Wirtschaft ist geprägt von Zahlen, Kennzahlen und Fachbegriffen, die für betriebswirtschaftliche Prozesse und Analysen notwendig sind. Sie ist stark durch Anglizismen beeinflusst, da viele moderne Managementkonzepte aus dem angloamerikanischen Raum stammen. Nach Hoffmann (1987) stellt die Wirtschaftssprache eine funktionale Sprache dar, die auf Effizienz und Vereinfachung abzielt. Die Integration von Fachbegriffen und Anglizismen spiegelt die zunehmende Globalisierung wider.
Besonderheiten:

  • Zahlreiche Anglizismen: Return on Investment (ROI), Benchmarking, Cashflow
  • Abstrakte Begriffe: Effizienzsteigerung, Liquiditätsplanung, Stakeholder-Kommunikation
  • Verwendung von Diagrammen und Tabellen als sprachliche Ergänzung

Beispiel:
„Die EBIT-Marge stieg im Vergleich zum Vorjahr um 2 Prozentpunkte, was auf eine optimierte Kostenstruktur zurückzuführen ist.“

Analyse:
Die Wirtschaftssprache neigt zu einem inflationären Gebrauch von Anglizismen. Dies schafft unter Experten ein Gefühl von Modernität, erschwert jedoch die Verständlichkeit für Nicht-Fachleute.


4. Gutachtersprache – Objektivität und Neutralität
Die Gutachtersprache ist eine stark formalisierte Fachsprache, die darauf abzielt, Befunde sachlich, objektiv und ohne Wertung darzustellen. Sie findet Anwendung in zahlreichen Bereichen wie der Medizin, dem Bauwesen oder der Justiz. Gutachtertexte folgen laut Fluck (1996) klaren konventionalisierten Strukturen, um Vergleichbarkeit und Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten.
Besonderheiten:

  • Konjunktivische Ausdrucksweise: „Es ist anzunehmen, dass…“
  • Unpersönliche Formulierungen: „Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass…“
  • Standardisierte Gliederung und Struktur

Beispiel:
„Der Patient weist klinische Symptome auf, die mit einer chronischen Gastritis vereinbar sind.“

Analyse:
Gutachtersprache wirkt oft distanziert und formal, was für die Sachlichkeit notwendig ist, aber Laien den Zugang erschweren kann.

5. Techniksprache – Präzision und Innovation
Die Techniksprache ist stark spezialisiert und umfasst Begriffe aus den Bereichen Ingenieurwesen, IT und Fertigungstechnologie. Techniksprache entwickelt sich im Kontext technischer Innovationen ständig weiter. Sie ist geprägt durch präzise Terminologie und international genormte Standards.
Besonderheiten:

  • Fachspezifische Terminologie: Drehmoment, Algorithmus, Spektralanalyse
  • Normierte Begriffe in der Produktion und Konstruktion
  • Abkürzungen und technische Einheiten: Nm (Newtonmeter), MHz (Megahertz)

Beispiel:
„Die Belastungsprüfung zeigte, dass das Bauteil bei 50 Nm Bruchversagen aufweist.“

Analyse:
Die Techniksprache hat eine hohe Verständlichkeit für Fachleute, ist jedoch für Außenstehende oft schwer zugänglich. Ihre Standardisierung sorgt jedoch für internationale Vergleichbarkeit.


6. Mediensprache – Prägnanz und Emotionalität
Die Mediensprache ist darauf ausgelegt, Informationen klar und verständlich zu vermitteln, wobei sie sich je nach Medium stark unterscheidet. Während die Nachrichtensprache auf Objektivität und Kürze setzt, verfolgt der Boulevardstil das Ziel, Emotionen zu wecken und Aufmerksamkeit zu erzeugen. Die Mediensprache ist ein dynamisches Feld, das stark durch gesellschaftliche Entwicklungen geprägt wird. Nach Weiß (2015) hat sich die Mediensprache in den letzten Jahrzehnten zunehmend dem Sprachgebrauch des Publikums angenähert, um Leserbindung zu stärken.
Besonderheiten:

  • Knappe, prägnante Sätze: „Skandal im Rathaus: Bürgermeister tritt zurück.“
  • Verwendung von Zitaten und rhetorischen Mitteln: „Wie konnte das passieren?“
  • Emotionalität im Boulevardstil vs. Neutralität in der Nachrichtensprache

Beispiel:
„Die Inflation steigt erneut – Verbraucher müssen sich auf höhere Preise einstellen.“ Diese nüchterne Darstellung unterscheidet sich stark von einem Boulevardtitel wie: „Preisexplosion! Wann hört das endlich auf?“

Die Mediensprache hat erheblichen Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung. Studien (Müller, 2018) zeigen, dass emotionale Sprache in Überschriften die Wahrnehmung von Sachverhalten stärker beeinflusst als der eigentliche Nachrichtentext.

Fachsprachen sind essenziell, um in spezialisierten Bereichen präzise zu kommunizieren. Sie schaffen Klarheit und Struktur innerhalb ihrer jeweiligen Domänen, stellen jedoch oft eine Herausforderung für Außenstehende dar. Das Verständnis dieser Sprachen fördert die Zusammenarbeit zwischen Experten und sorgt für eine professionelle Kommunikation. Es bleibt eine zentrale Aufgabe, Fachsprachen zugänglicher zu machen, ohne deren Präzision zu verlieren.

Literaturverzeichnis:

  • Coseriu, E. (1978). Textlinguistik und Fachsprache. Tübingen: Niemeyer.
  • Fluck, H.-R. (1996). Fachsprachen. Einführung und Bibliographie. Tübingen: Francke.
  • Habersack, M. (2015). Rechtssprache und Verständlichkeit. Heidelberg: Springer.
  • Hoffmann, L. (1987). Kommunikation in der Fachsprache. Berlin: Akademie-Verlag.
  • Meyer, K. (2010). Medizinische Kommunikation zwischen Fachsprache und Patientensprache. Stuttgart: Thieme.
  • Müller, S. (2018). Sprache und Manipulation in den Medien. München: C.H. Beck.
  • Weiß, A. (2015). Entwicklungstendenzen der Mediensprache. Berlin: Springer.
Share this :